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Künstlerkolonien
Nun, liebe Hörerinnen und Hörer,
in der letzten Sendung haben wir uns mit dem Impressionismus beschäftigt, seiner Entstehung, seinen Eigenheiten, und wir haben versucht, seine Entstehung in den historischen Kontext zu stellen. Solche Abgrenzungen zu benennen ist nicht immer einfach; schließlich hat jede Bewegung Gründe und auch Vorläufer, aus dem sie entstehen: In dem Zusammenhang müssen wir auch die Gruppierungen, also die Gruppen von Künstlern beleuchten, die dabei eine Rolle spielen. Und da gibt es für den Impressionismus u.a. die Entstehung einer berühmten Künstlerkolonie in Frankreich, genauer gesagt in Barbizon.
Barbizon ist ein kleines Dorf am Wald von Fontainebleau, zirka 50 km südöstlich von Paris. Eigentlich ein Kaff. Im 19. Jahrhundert bestand Barbizon nur aus der Hauptstraße Rue de Barbizon, heute Grande Rue, an der sich insgesamt etwa 40 Häuser aufreihten. Die Eisenbahn verlief auf der Hauptstraße. Die einzige Herberge, Auberge Ganne, lag in der Mitte des Dorfes. Sie ist heute weitgehend im Originalzustand erhalten und beherbergt ein Museum. Man erreichte Barbizon damals nach 90 Minuten Eisenbahnfahrt von Paris aus. Die Eisenbahn war eine großartige neue Erfindung. Unglaublich schnell. Nur 90 Minuten brauchte es, um aus der Großstadt in eine völlig andere, eine natürliche Welt zu gelangen. Eine reinere, eine wahre Welt. Auch eine Welt abseits der strengen Lehren der Akademie, über die wir in der letzten Sendung sprachen. Es gab – und das hatte nicht nur mit Kunst zu tun –damals eine Sehnsucht nach der unberührten Natur. Wenn wir heute gegen den Klimawandel kämpfen, gegen die Atomkraft, wenn wir für eine Entschleunigung unseres Lebens eintreten, dann speist sich dieser Wunsch auch aus einem Verlust, den wir empfinden, weil wir leben oder leben müssen, wie wir es zur Zeit tun. Dem Verlust des Natürlichen, der Muße, unserem Verlust an Natur. ( Vor kurzem meinte eine Städterin, die hier eine Wohnung suchte: sie würde die Großstadt dem Land allemal vorziehen, ihr sei sogar der Lärm der Stadt lieber als Vogelgezwitscher. Ich fragte sie, warum sie dann unbedingt eine Wohnung mit Meerblick haben wolle, sie könne doch auch an der Autovia wohnen. Die eigene Degeneration war ihr nicht bewusst. Es gab nur noch eine undefinierbare Empfindung, die sie auch zu erläutern versuchte: Meeresblick = Weite= Ruhe oder sonst irgendwas… Arme Frau. )
Doch zurück zu unseren Künstlern:
Die meisten Maler, die aus Paris während der Sommerzeit mit Staffelei und Tuben anreisten, mieteten sich in der Auberge Ganne ein. Einige erwarben auch Häuser in Barbizon. Der Wald von Fontainebleau umfasst 17.000 ha und ist berühmt für seine mächtigen alten Eichen und pittoresken Felsen. Als erster hatte sich der Maler Théodore Rousseau 1836 in Barbizon niedergelassen. Es gab eine Hinwendung zur realistischen Naturdarstellung im Gegensatz zur klassisch-idealistischen Landschaftskomposition. Die mit dem französischen Terminus auch als "Paysage intime" (intime Landschaft) bezeichneten typischen Bilder sind betont unaufdringliche, schlicht gehaltene Landschaftsdarstellungen.
Immer mehr Künstler flüchteten aus den städtischen Ateliers aufs Land, um „en plein air“ (in freier Luft) zu malen. Weil es jetzt Ölfarben in Tuben gab, war dies auch technisch möglich geworden. Dabei suchten die Künstler aber nicht mehr nur das erhabene und pittoreske Motiv, wie man sie früher auf Reisen durch die Alpen oder durch Italien fand, sondern man ging weiter: Es galt gerade das Einfache einzufangen, auch das bäuerliche Leben; vor allem die atmosphärischen Erscheinungen zu den unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten.
So wurden die Maler von Barbizon zu Wegbereitern des Impressionismus: Théodore Rousseau, Camille Corot, Francois Millet, Charles Daubigny, Narcisse Diaz de la Pena , um die wichtigsten zu nennen… In der letzten Sendung haben wir u.a. von Camille Pissarro gesprochen und ihn als Vater des Impressionismus bezeichnet, weil er auf Monet und Cezanne großen Einfluss hatte. Pissarro wiederum war – wenn man so will – ein Schüler von Camille Corot, den ich sehr mag, das nur nebenbei… Auch in solchen Personenbeziehungen spiegeln sich die Entwicklungen der Kunst wieder. Von der Politik kennen wir das ja, siehe Marx/Engels.
Barbizon jedenfalls wurde zwischen 1840 und 1870 ein Zentrum der Freilichtmalerei, das Künstler aus anderen Ländern anzog ( u.a. auch den Deutschen Max Liebermann, der dort den von ihm sehr geschätzten Francois Millet 1874 kurz vor dessen Tod besuchte). Es gab bald viele – auch radikalere - Nachahmer. Man weiß heute, dass z.B. nur Daubigny ausschließlich im Freien malte. Die übrigen Künstler legten im Allgemeinen draußen nur Skizzen an, um dann im Atelier nach diesen Vorstudien zu malen. Ein weiterer Irrtum: In der Kunstgeschichte spricht man manchmal von der „ Schule von Barbizon“ oder auch der „Schule von Fontainebleau.“ Beide Begriffe sind missverständlich. Eine Schule, ein Lehrer-Schüler–Verhältnis oder feste Regeln, hat es nie gegeben. Keine Absprachen, nur einen gemeinsamen Geist… Es war eher ein lockerer Freundschafts- und Kollegenkreis, von denen sich einige in Barbizon ansiedelten, andere sich in der Pension Auberge Ganne zeitweise einquartierten.
Wie sieht man die Bilder heute? Während die meisten der Gemälde heutzutage als eher sentimental geprägt gesehen werden, galten einige schon zur Entstehungszeit wegen ihres sozialen Realismus als radikal, so zum Beispiel das Bild Ährenleserinnen von Jean-François Millet. Harte Arbeit auf dem Feld, unter einer sengenden Sonne. Diese sozialkritische Komponente finden wir vor allem auch bei einigen deutschen Künstlern wieder, darauf komme ich vielleicht noch. Nach unserem heutigen Empfinden aber wirken viele Bilder jener Zeit – so sehe ich das – sehr brav, sehr idyllisch, deshalb manchmal mit einem Hang zum Kitsch. Zweifelsfreie oder dissonanzfreie Bilder eben . Was meint man, wenn man manchmal abfällige Bemerkungen in Ausstellungen hört wie: typisch 19. Jahrhundert? Es gibt natürlich großartige Werke darunter, die durch ihre Farben bestechen. Vor allem Landschaftsbilder. Und man soll sich nicht irren: Die meisten Menschen mögen die Idylle, mögen auch den Kitsch. Welche Postkarten werden verkauft? Sonnenuntergänge. Was hängt bei vielen an der Wand? Eben: Die Zigeunerin, die Wäsche wäscht. Nur- wer heute noch die Zigeunerin malt und nicht den Punker oder Banker, der ist in der Zeit – die nicht mal die eigene ist –steckengeblieben.
in Deutschland
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden Künstlergruppen und Künstlerkolonien auch in Deutschland. Die Künstler ließen sich meist in ländlichen Orten nieder, die durch ihre Landschaft besonders und eigentümlich waren - z.B. Heide, Berge, Moor oder Küste. Die Ursprünglichkeit und das Licht waren wichtig. Das Malen in freier Natur lockte vor allem die Maler aus den Städten. Es gab romantische Sehnsüchte nach unverdorbener Idylle, nach einem einfachen naturnahem Leben, nach Freiheit. Und ganz praktisch gesehen: Das Leben auf dem Lande war viel billiger, und Künstler sind in der Regel arme Schlucker.
Obgleich viele Künstler den Kontakt zu den Einheimischen bewusst suchten, blieben sie doch häufig unter sich. Die Bauern waren arm, und ihnen waren die neuen Dorfbewohner etwas suspekt und eigentlich nicht ganz von dieser Welt. Zumindest arbeiteten die doch nicht richtig, wie sich das gehörte. „ De heb no nie in´ Moor schafft, oder?“ Andererseits malten viele Künstler das Leben der Bauern, also ihr Leben oder ihren Hof; und diese Bilder wurden in den großen Städten gezeigt und dort verkauft. Da konnte man auch stolz drauf sein. Manchmal kam sogar Geld ins Dorf oder ein kleiner Auftrag. – Berühmte Leute besuchten die Künstler, besuchten das Dorf; das Dorf wurde bekannt; z.T. entwickelte sich später ein lebhafter Tourismus, Arbeitsplätze entstanden … Manche Künstlerkolonie entwickelte sich, anderen ging die Luft aus oder sie verharrten schließlich auf musealer Ebene, weil es mit der Kunst nicht weiterging… In manchen Künstlerkolonien war der Austausch mit den Einheimischen gut und fruchtbar, in anderen nicht. Dort blieb man mehr unter sich. Oder man traf sich nur in der Dorfkneipe. Vermutlich kam es auch auf die Personen an. Ich habe mich z.B. immer gefragt, wie Paula Becker- Modersohn es nur geschafft hat, alte verhärmte Bäuerinnen zu überreden, sich als Modell für ein Aktbild zur Verfügung zu stellen…
Es gab und gibt in Deutschland etliche Künstlerkolonien, die ich nicht alle aufzählen will. Die wichtigsten sind vielleicht die Künstlerkolonien Ahrenshoop und Hiddensee, beide an der Ostsee gelegen; die Künstlerkolonie Dachau, die in Darmstadt, die Künstlerkolonie Murnau, und bei Bremen die Künstlerkolonie Fischerhude. Nur 20 km von Fischerhude entfernt gibt es dann die Künstlerkolonie Worpswede, die wichtigste, größte und vor allem noch bestehende… Eine, die ich gut kenne, weil ich dort die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe.
Über Worpswede muss ich mal eine eigene Sendung machen, das ist klar; denn es verbinden sich berühmte Namen und spannende Geschichten mit dem Ort: Paula Becker-Modersohn, die nach Paris ging, früh starb und berühmt wurde; Heinrich Vogeler, der den Barkenhoff gründete, dann als Kommunist nach Russland ging und dort verhungerte. Rainer Maria Rilke, der große Dichter und viele andere... Da reicht eine Sendung nicht. Allein über Heinrich Vogeler ließe sich viel erzählen; ich selbst habe noch seinen Sohn kenngelernt und mit ihm zusammen zu Abend gegessen… Er hatte in Moskau gegenüber dem Hotel LUX gewohnt, das auch eine eigene Sendung verdienen würde; Stalins Säuberungen, kommunistische Internationale, Herbert Wehner...
Doch die Zeit ist knapp, kommen wir also – wenn auch kurz – auf Worpswede zurück:
Warum zog gerade dieser Ort so viele Künstler an? Worpswede liegt mitten im Teufelsmoor, einer damals sumpfigen Gegend, aus der sich ein kleiner Hügel, der Weyerberg, erhebt. Ein ehemaliges Urstromtal, durchzogen von Flüssen wie Hamme, Wümme und Beeke. Vom Weyerberg hat man einen Blick bis zum Horizont. Die Menschen lebten meist ärmlich in Katen, bauten Torf ab und segelten mit ihren flachen ungewöhnlichen Booten auf den Flüssen nach Bremen, um dort die getrockneten Torfsoden als Brennmaterial zu verkaufen. Das Motiv der Moorkähne findet sich auf vielen Bildern dieser Zeit. Viele meinen, nirgendwo auf der Welt gibt es einen solchen ungeheuren Himmel wie über dieser Landschaft, es sei denn am Meer. Ein Zeitgenosse schreibt: “…ich denke, diese Landschaft strömt nicht nur Schwermut aus, sondern sie hat eben auch diesen ganz großen Himmel, diese lebhaften Farben, dieses seltsame Flimmern, bisweilen Leuchten. Das Starke und das Stille finden hier zugleich und nebeneinander Ausdruck.“ Ich selbst bin mit meinen Hunden früher oft an der Hamme entlang spaziert oder durchs Moor gestiefelt; als Einheimischer kannte ich natürlich die Gebiete, wo es noch das Moor mit seinen Tümpeln und Flusspfaden gibt, das auswärtige Touristen meist vergebens suchen. Und ich kann bestätigen: der Himmel ist wirklich einmalig. Immer anders. Vor allem morgens. Manchmal von so kräftigem leuchtenden Lila, wie es keine Kamera einfangen kann. Und wie oft hab´ ich mich geärgert, keine Kamera dabei zu haben… Dann die Nebelstunden; Kuhköpfe, die ohne Unterleib aus Nebelschwaden ragen; Land und Himmel ein einziges Grau…
Die Landschaft mit seiner Weite, den Moorgräben und Flüssen, das besondere Licht, die einfachen Menschen, die nicht viel redeten – das alles waren Gründe, warum sich 1889 an diesem Ort die berühmte Künstlerkolonie gründete. Worpswede gilt heute als „Weltdorf“, denn noch immer kommen Künstler – z.T. als Stipendiaten der „Künstlerhäuser“ nach Worpswede. Nicht nur Maler, auch Videokünstler, Filmschaffende, Autoren usw.
( Worpswede gehört zum Netzwerk EuroArt, einem Zusammenschluss europäischer Künstlerkolonien.
Die Künstlerhäuser Worpswede entstanden 1971 als Atelierwohnungen des gemeinnützigen Atelierhaus-Vereins unter der Leitung des Grafikers Martin Kausche und waren die ersten ihrer Art in der Bundesrepublik Deutschland. Dahinter stand die Idee, dass Künstler über eine gewisse Periode ungestört in einer neuen ruhigen Umgebung arbeiten können sollten. Das Künstlerdorf Worpswede bietet dazu die perfekte Infrastruktur. Der große Anteil an Künstlern in der Bevölkerung ermöglicht den Gästen Anbindung, garantiert aber gleichzeitig eine gewisse Anonymität und ein relativ großes Verständnis für höchst unterschiedliche Positionen. Sie erinnerten daran, dass das Künstlerdorf keineswegs ein Freiluftmuseum ist, sondern ein Ort mit einem historisch geprägten überdurchschnittlich hohen Interesse an Kunst und Kultur. Von 1996 bis 2009 wurden sie mit den Ateliers der Barkenhoff-Stiftung gemeinsam betrieben. Über 400 internationale Künstler waren seitdem zu Gast und erhielten bis Ende 2009 Stipendien des Landes Niedersachsen. Seit 2010 werden nur noch Wohnstipendien in den Martin- Kausche- Ateliers unter der Regie der Künstlerhäuser Worpswede e.V. angeboten. Das Bewerbungsverfahren läuft über das Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Hannover. Die Stipendiaten des Landes Niedersachsen erhalten ein ortsungebundenes vergütetes Jahresstipendium und zusätzlich oder ausschließlich ein 2-monatiges Wohnstipendium in den Martin Kausche Ateliers in Worpswede. Die Sparten Bildende Kunst, Klangkunst und Literatur bleiben erhalten. (Vergleich Villa Massimo in Rom : Die Villa Massimo beherbergt nunmehr seit fast einhundert Jahren Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland in Rom. Für ein Jahr können Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Komposition und Architektur mit dem Villa-Massimo-Stipendium in Rom leben und arbeiten. Im Park der Villa Massimo stehen ihnen hierfür großzügige Ateliers mit angegliederten Wohnungen zu Verfügung.)
Die Kolonie wurde 1889 von den Malern Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto Modersohn gegründet. Es folgten 1893 Fritz Overbeck und ein Jahr später Heinrich Vogeler. Paula Becker, die 1901 Otto Modersohn heiraten sollte, kam ab 1898 zur Gruppe, um Malunterricht bei Fritz Mackensen zu nehmen. Der wohnte in einer Villa auf dem Weyerberg, auf einem großen Grundstück mit alten Eichen. Man kommt auch heute daran vorbei, wenn man über den Weyerberg spaziert. 1895 erwarb Heinrich Vogeler ein Gehöft am Weyerberg, das er im Jugendstil umbaute. Das prächtige Haus, Barkenhoff genannt, hat vor dem Haupteingang einen Garten, der auf Bildern jener Zeit und auf den Fotos heutiger Touristen immer wieder auftaucht. Der Barkenhoff wurde Mittelpunkt der Worpsweder Künstlerbewegung und zog Künstler und Intellektuelle an. Rainer Maria Rilke und dessen spätere Frau, die Bildhauerin Clara Westhoff lebten zeitweise hier.
( Nebenbei: Der Kölner Schokoladenproduzent Ludwig Stollwerck engagierte ab 1900 unter anderem auch Künstler aus Worpswede für die Gestaltung von Stollwerck-Sammelalben und Stollwerck-Reklame. Hierzu gehörten Otto Modersohn, Fritz Overbeck und Heinrich Vogeler.)
Erstaunlich ist, das Worpswede als bis heute als Weltkulturdorf überlebt hat. Nach der ersten Generation von Künstlern wie Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Paula Becker, Heinrich Vogeler, dem Architekten Hoetger, Clara Westhoff, Hans am Ende und anderen gab es eine zweite Generation, die berühmte Künstler hervorbrachte. Richard Oelze z. B. , den bekannten deutschen Vertreter des Surrealismus, der auf der Dokumenta 1959 und 1964 ausstellte; später wurde er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Lisa Oppel, Fritz Uphoff u.a. Auch in der jetzigen zeitgenössischen Generation tauchen in der Kunstwelt bekannte Namen auf wie Waldemar Otto, der bekannte Bildhauer, Pit Morell, Friedrich Meckseper, Tobias Weichberger, Natascha Ungeheuer, Moritz Rinke. Etlichen bin ich begegnet. Etliche haben Worpswede auch wieder verlassen und kommen nur noch ab und zu auf Besuch. Oder leben in Andalusien, wie Maren Wellendorf, meine Frau…
Über das heutige Worpswede lässt sich viel sagen, auch viel Kritisches. Aber das es ein besonderer Ort ist, steht außer Frage.
Nicht nur Maler bildeten damals Künstlerkolonien. Ein Beispiel ist die Darmstädter Künstlerkolonie , 1901 gegründet auf der Mathildenhöhe. Der Gruppe gehörten u. a. die Künstler Behrens, Bosselt, Christiansen, Habich und Olbrich an. Von Olbrich und Behrens stammten die Pläne für die Häuser der Künstler und der Ausstellungsgebäude. Die Künstlergruppe machte Darmstadt zu einem Zentrum des Jugendstils. Als Vorbild diente die englische Arts-and-Crafts-Bewegung (engl: Arts and Crafts Movement) ,"Kunst- und Handwerks-Bewegung".
Das war eine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von England ausgehende Reformbewegung. Diese Bewegung besann sich auf die Ethik der mittelalterlichen Handwerksgesellschaft und kritisierte das moderne Maschinenzeitalter. Es war eine Bewegung mit dem Ziel, der billigen industriellen Massenproduktion entgegenzuwirken. Die Gegenstände sollten auf kunsthandwerklicher Basis hergestellt werden, weil nur diese die materialgerechte und funktionale Nutzung optimal garantiere. Man wollte die Gesinnung der im Mittelalter tätigen Kunsthandwerker wiederbeleben, die großen Wert auf die Gediegenheit ihrer Arbeit legten. Von 1893-1896 führte W. Crane den Vorsitz. Er sah es als seine Aufgabe an, die Künstler in Handwerker und die Handwerker in Künstler zu verwandeln. Von ihm stammt der bekannte Ausspruch: "Im Handwerk liegt die wahre Wurzel der Kunst." Unter seinem Einfluss verließen viele Handwerker die kapitalistische Industriegesellschaft. Sie zogen aufs Land, wo das Leben noch billiger war, und bildeten Interessengemeinschaften, die den alten Gilden ähnlich waren. Auf der Suche nach einem neuen Stilausdruck schlossen sich die meisten Künstler in den 1890er Jahren dem Art nouveau(Jugendstil) an.
Liebe Hörer, am Ende der Sendung gebe ich Ihnen meist noch einige Tipps zu Vertiefung des Themas:
Heute möchte ich Ihnen aber einen Roman empfehlen, der bedingt mit Kunst zu tun hat und Sie sehr amüsieren wird. Er hat in letzter Zeit eine hohe Auflage erzielt und stammt von Moritz Rinke, einem jungen deutschen Dramatiker. Titel: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel, Kiepenheuer & Witsch Verlag
Es gab für dieses Debut, seinen ersten Roman, Lob von allen Seiten, und ich sage: zu recht. Moritz Rinke erhielt als Redakteur bei der Berliner Zeitung Der Tagesspiegel zweimal den Axel-Springer-Preis. Seit 1999 schreibt er Theaterstücke. Sein Bühnenstück Republik Vineta wurde 2001 zum besten deutschsprachigen Bühnenstück gewählt und 2006 verfilmt.
Rinke wurde 2003 mit seinem ersten Film (September, Regie: Max Färberböck), in dem er auch als Schauspieler debütierte, zu den Internationalen Filmfestspielen nach Cannes eingeladen. Das ZDF und ARTE strahlten 2008 einen Film mit und über Moritz Rinke aus.
Aber, warum empfehle ich den Roman ? Bei unserem Thema?
Nun, Moritz Rinke stammt aus einer Worpsweder Künstlerfamilie und ist in Worpswede aufgewachsen. Außerdem ist der Handlungsort des Romans Worpswede mit seiner Künstlerkolonie, dem Teufelsmoor und seinen Himmeln.
Der Protagonist Paul Wendland lebt mehr schlecht als recht als Galerist in Berlin, wo er z.B. für die Bilder eines blinden (!) Malers Käufer zu finden sucht. Als sein Elternhaus im Teufelsmoor zu versinken droht, verlässt er auf Drängen seiner Mutter Berlin und versucht, das Haus in Worpswede vor dem Untergang zu retten; seine Mutter führt ein esoterisch determiniertes Leben im Süden und hat für solche Dinge nun wirklich keine Zeit... (Eher schickt sie regelmäßig „frischen Salat“ aus Spanien)
Als Enkel des angesehenen Bildhauers Paul Kück lernt er erst jetzt die unselige Geschichte seiner Familie kennen, ihre Verstrickung in die Nazidiktatur und die Intrigen der Künstlerszene. Die Macken der Personen und die Absurditäten der Situationen sind ein einziges Lesevergnügen. Man kommt nicht umhin, manchmal laut zu lachen. Selten war Aufklärung so amüsant.
Ich kenne die Örtlichkeiten und auch einige Personen – zumindest glaube ich sie wiederzuerkennen.
Aber ich versichere, das ist keine Voraussetzung, um sich gut zu unterhalten.
Nochmal ans Herz gelegt: Moritz Rinke: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel, Kiepenheuer & Witsch Verlag 2010, ISBN 978-3-462-04190-3
Video: Maler der Künstlerkolonie Worpswede ( Kunst und Kommune Teil 3 (Haselmann)
Videos Otto Modersohn und Paula Becker
Video: Lesung Moritz Rinke- Der Mann, der aus dem Jahrhundert fiel Moritz Rinke
Ausstellungen in der Umgebung
1. Torre del Mar, Sala Maldonado, Rathaus – bis 28.4.2012 „El secreto de las formas“, Magdalena Romero, Margui López, Antonio Aranda, José Luis Martín Di-Fr 11-13 + 18-20, Sa 11-14
- 4 Mitglieder der Künstlervereinigung Colectivo SociArte aus Velez-Malaga,( 26 Mitglieder)
- Die Ausstellung ist sehr gut und sehenswert, professionelle Kunst.
- -Antonio Aranda – zeigt witzige Bilder; er zitiert berühmte Werke der Kunstgeschichte und verändert sie, z.B. sehen wir das Bild eines berühmten Kardinals im Museum; davor stehen wie provozierend zwei “Klassefrauen” im Minirock - tolle Figur, tolle Beine – und bewundern das Werk (oder machen sich darüber lustig, wer weiß); Titel: Amor en el museo /
Ein anderes Bild zeigt 2 ältere Damen mit Handtasche, die äußerst skeptisch und eher ablehnend ein Bild betrachten; der Gesichtsausdruck beschreibt sehr gewissenhaft die Ablehnung moderner Kunst durch die eher dem ländlichen Milieu zuzuordnenden Besucherinnen; - nur: man sieht das Bild nicht, das sie betrachten. Sondern wir, die Zuschauer, sehen die beiden aus der Perspektive des Bildes. Titel „Criticas“ / Laut gelacht habe ich beim Bild eines Steinzeitmenschen , der dabei ist, seine Höhlenzeichnungen zu malen; eine dieser Zeichnungen zeigt die Mona Lisa! Von der Michelangelo später also ein Plagiat gemalt hat…
- Dann gibt’s noch die Badenden von Picasso, die sich beim Waschen offenbar durch eine ins Bild hinein platzierte strickende Oma gestört fühlen/ und andere Zitate von Meisterwerken
- -Margui Lopez – moderne Collagen aus Öl, Fotos, Texten / dazu Skulpturen, menschliche Figuren aus Holzwurzeln herausgearbeitet, beides sehr gut
- -José Luis Martín = Presidente de SociArte – Bilder und Collagen auf Holz /dazu Skulpturen aus Aluminium; ein stilisiertes Pferd, eine Gitarre usw., sehr gute Ausführung und edel im Material
- -Magdalena Romero – zeigt Aquarelle, viele gut, andere etwas überfrachtet und „zu bunt“ für das Medium Aquarell
Insgesamt eine sehr gelungene und interessante Ausstellung, Preise sehr günstig: 150-900 €, nur 2 Werke darüber
2. Die zweite, sehr lohnende Ausstellung gibt’s im Tourismusbüro Torrox-Costa, (gegenüber Aldi , bis 4.4.2012) Ausstellung einer Künstlerfamilie aus Torre del Mar Vater Juan Manuel Hurtada Gonzales, 68 J., pensionierter “Profesor de Arte” der “Escuela del Arte” in Malaga Sohn Juan Manuel Hurtado Barba ,(34 J), “Profesor de grafica”, wohnhaft in Torremolinos Tochter Maria Hurtado Barba, Keramikerin Eine sehr gute und sehr vielseitige Ausstellung; schöne Landschaftsbilder der Axarquia, perfektes Handwerk, z.T. im Stil Cezannes; wunderbare Ruhe durch sanfte Farben und Licht; auch bei Personen- und Gruppendarstellungen immer perfektes Handwerk, z.B. bei dem Mutter-Kind-Bild; einige Motive etwas idealisierend (z.B. Frauen bei der Ernte mit Sichel); es gibt aber auch moderne, sich auflösende Szenen oder Bilder im Collagenstil , z.B. ein rotes Bild mit dem Titel „Nacht“ u.v.m. Insgesamt sehr interessant, leider ist die Ausstellungsdauer zu kurz. Die Preise sind sehr niedrig, für diese Qualität zu gering. ( z.B. für ein wunderbares Ölbild 80 x 110 cm nur 450,- €, ein Bild 120 x 100 für 600 € ist zu wenig). Die Krise zwingt Künstler dazu, manche Werke zu verschleudern, schade. Deshalb greifen Sie zu! Werfen Sie ihre Drucke aus Studentenzeiten oder das dilettantische Wanddecor vom Urgroßvater endlich in den Müll und kaufen Sie mal ein gutes Original! Ein heutiges! Lesen Sie immer ein und dasselbe Buch? Nein. Warum wollen Sie dann immer ein und dasselbe Bild vor Augen haben? Ich selbst z.B. tausche alle 2-3 Monate meine Bilder aus. Dazu brauche ich einen gewissen Fundus an Bildern. Manche Leute haben einen Weinkeller, ich habe einen Bilderkeller. Und glauben Sie mir: Der wird niemals leer. Sie werden in beiden Ausstellungen mit Sicherheit fündig, wenn sie etwas Neues für ihre Wand suchen… Es gibt hier in der Axarquia sehr gute Künstler; das Problem ist: Man kennt sie meist nicht. Zumindest kennen wir als Ausländer nur sehr wenige. Das kann sich durch die beiden Ausstellungen ändern…
3. städtisches Museum ( Museo del Patrimonio Municipal, Malaga), Paseo de Reding 1,
Bis 27.Mai : José Manuel Ciria, “ Juego de Espejos “, Di-So 10-14 + 17-20 Uhr 1960 in Manchester geboren, einer der international anerkanntesten spanischen Künstler, Ateliers in Madrid, Malaga und New York, im allgemeinen malt er großformatige abstrakte Bilder Die Ausstellung zeigt eine Auswahl aus den letzten 3 Jahren. erster Stock: großformatige Gesichter, alle Gefühlszustände wie Erstaunen, Wut, Schmerz, Betroffenheit lesbar – der Künstler nennt sie “Rorschachköpfe“ zweiter Stock: abstrakte Werke, mittleres Format und kleinformatige Gesichter dritter Stock: ein 15m langes mosaikartiges Wandbild mit dem Titel „ Encuentros de Ira“ (Treffen des Zorns); der Titel erinnert an Guyasamins Edad de la ira – Zeitalter des Zorns. Der Bildtitel deutet auf den politischen und zeitkritischen Ansatz des Künstlers hin ,( der sonst eher zwischen dem Konstruktivismus, dem Informel und der gestischen Malerei zu Hause ist.) Ciria will „die Zerrissenheit in unserer erschütternden Epoche“ darstellen; ein Grund für diesen Themenwechsel ist vermutlich, dass er nur durch Zufall dem Attentat auf das World Trade Centrum entkommen war.
4. Tag der offenen Ateliers in Competa, 7./8. April 2012, 11-17 Uhr; Künstler der Gruppe CompetaArt laden ein, die einzelnen Künstler und ihr Atelier kennen zu lernen Infos unter www.competaArt.com
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