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Hinweise zu Ausstellungen im Sendebereich
bis 11. Februar: Casa de Cultura, Frigiliana (Casa de Apero) Ausstellung der Gruppe AXARQUIA ART und vier anderer Künstler der Region, u.a. Maren Wellendorf Die Gruppe wurde vor achtzehn Monaten gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, Künstler und kunstinteressierte Leute zusammenzuführen. Diesem Ziel dienen neben bisherigen Ausstellungen in Riogordo und Frigiliana auch Workshops und Kurse, die für Anfänger und Fortgeschrittene geeignet sind. Öffnungszeiten Casa de Apero: Mo-Fr 10:00h - 17:30h, Sa + So 10-14 und 16-20 Uhr
Gezeigt wird ein breites Repertoire von Bildern mit verschiedenen Themen und Stilen und einige wenige Skulpturen. Die meisten Aquarelle und Bilder auf Leinwand sind handwerklich wirklich sehr gut. Aber - nach meinem Geschmack – ist die Auswahl viel zu gefällig. Die Themen sind größtenteils nur konventionell und entsprechen dem hiesigen Geschmack und Mainstream - und wie üblich bei Ausstellungen dieser Art überwiegt bis ein naturalistischer Stil. Das ist auf Dauer nicht gerade spannend. Für den Besucher ist nicht wichtig zu sehen, was ein Künstler kann – ich gehe eh´ davon aus, dass er sein Handwerk beherrscht- sondern was er will! Was sagt mir dann ein hübsch gemalter Pferdekopf? Oder ein Elefant aus Ton? Oder ein gemaltes Bierglas? Ich wünschte, die hiesigen Künstler würden mehr Mut aufbringen und auch mal neue Inhalte bieten…
Aber wir wollen heute auch vor allem über Giacometti sprechen, und das aus gutem Grund: denn nur noch bis 5. Februar gibt es in Malaga, im Picasso-Museum, eine wirklich bedeutsame Ausstellung zu sehen, vielleicht die Bedeutendste für Jahre: Eine Giacometti Retrospektive , die Erste in Spanien seit 20 Jahren, eine Co-Produktion mit der Giacometti Foundation Paris, insgesamt 198 Arbeiten. In der bildenden Kunst ist die Retrospektive eine Kunstausstellung, die im Nachhinein das Lebenswerk eines Künstlers beleuchtet, und diesen Anspruch löst die Ausstellung in Malaga wirklich ein. Es gibt bekannte Werke und Skizzen aus jeder Lebensphase des Künstlers zu sehen.
Wer war Giacometti?
… GIACOMETTI, das klingt italienisch, aber unser Giacometti war ein Schweizer. Außerdem gibt es mehrere Giacomettis. Alberto Giacometti, der Berühmte, von dem hier die Rede ist, stammte aus einer bekannten Künstlerfamilie. Sein Vater Giovanni gehörte zu den bekanntesten Schweizer Malern seiner Zeit, der neoimpressionistische Bilder malte. Alberto kam 1901 als erstes von vier Kindern auf die Welt, in Stampa, in Graubünden. Sein jüngerer Bruder Diego wurde später als Designer von Bronzemöbeln bekannt. Bruno, der jüngste Bruder, war später ein bekannter Architekt, die Schwester Ottilia starb leider sehr jung im Kindbett. Augusto Giacometti schließlich gilt das »zweite Genie« der Giacomettis, dessen abstrakte Bilder bis heute faszinieren. Er war aber nur entfernt mit „dem“ Giacometti, verwandt, mit Alberto. Die Familie war für Alberto Giacometti immer sehr wichtig. Zu seinem Bruder Diego hatte er ein inniges Verhältnis; sie lebten später in Paris zusammen. Diego blieb bis zu Albertos Tod sein Assistent und Helfer, man kann auch sagen: sein wahrer Freund. Alberto wurde von seinem Vater, dem Maler Giovanni Giacometti, schon seit früher Kindheit gefördert. Bereits mit 12 Jahren ( 1913) malte Alberto sein erstes Ölgemälde und im Jahr darauf entstanden seine ersten Skulpturen aus Plastilin. Sein Vater ermöglichte ihm sogar eine Pause von der Schule, um sich selbst zu finden! Ich glaube, so etwas ist nur in einer Künstlerfamilie möglich und heute ohne Streit kaum denkbar. Dies nur als Trost und Mahnung für die Eltern, deren Kind die Schule schwänzt… In den Jahren von 1919 bis 1920 besuchte Alberto die Kunstgewerbeschule in Genf und unternahm danach Reisen durch Italien.
Als er im Mai 1920 seinen Vater in Venedig besuchte, der auf der dortigen Bienale ausstellte, entdeckte auf dem Rückweg in Padua die Fresken in der Arena-Kapelle: "Die Fresken von Giotto gaben mir einen vernichtenden Schlag gegen die Brust. Ich war plötzlich ziellos und verloren, ich fühlte einen tiefen Schmerz und große Trauer." Dieses Zitat lässt vielleicht am besten die Sensibilität begreifen, mit der Giacometti manche Dinge sah. Er reiste noch sehr oft nach Italien und fand dort viele Anregungen. Während seines zweiten Besuches begleitete ihn eine Zeitlang ein alter Holländer, den er kaum kannte. Man hatte ich aber angefreundet, und noch während der Reise erkrankte sein Begleiter plötzlich und starb. Dieser überraschende Tod hinterließ eine große Verunsicherung des jungen Giacometti - er später sagte, es sei der Grund, warum er immer nur vorläufig und mit möglichst wenigen Besitztümern lebe. “Sich zu etablieren, ein Haus einzurichten, sich eine komfortable Existenz aufzubauen, und die Bedrohung (des Ganzen)schwebt die ganze Zeit über deinem Kopf – nein, nein, ich will (lieber) leben wie auf der Durchreise; nur in Hotels, in Cafés…“
1922 zog Giacometti nach Paris. In der französischen Hauptstadt studierte er an der Academie de la Grande Chaumiere am Montparnasse, die er allerdings oft monatelang nicht besuchte – außer zum Aktzeichnen. Hatte man als junger Mann nicht Besseres zu tun? Paris war schließlich eine spannende Stadt zu der Zeit, eine Stadt voll von Künstlern wie ihn. Zu seiner Verteidigung bleibt aber festzuhalten, dass er fünf Jahre lang zusätzliche Kurse bei dem Bildhauer Emile-Antoine Bourdelle belegte.
Im Februar 1925 kam endlich sein Bruder Diego nach Paris, und die beiden Brüder mieteten sich ein kleines Atelier in der Rue Hippolyte- Maindron. Dieses Atelier behielt Giacometti bis zu seinem Tod. Man hatte jetzt also eine Unterkunft und einen Arbeitsraum, aber nur wenig Geld zum Leben. Doch Diego fand im Designbereich seinen Beruf und unterstützte Alberto bei dessen Arbeit; er wurde nicht nur sein bevorzugtes Modell, sondern ab 1930 auch sein engster Mitarbeiter. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, fertigten die beiden Brüder schließlich für den Möbeldesigner Jean-Michel Frank dekorative Wandleuchten und Vasen an. Sie hatten ihn durch Man Ray kennengelernt. Dieser war ein US-amerikanischer Fotograf, Filmregisseur, Maler und später Objektkünstler. Außerdem stellten sie Schmuck für die damals sehr bekannte Modeschöpferin Schiaparelli her. Durch ihre Arbeitgeber lernten sie nach und nach die Pariser Haute Volée kennen.
Bereits drei Jahre nach seinem Studienbeginn in Paris hatte Giacometti eine erste Ausstellung im Salon des Tuileries. Sein Lehrer Bourdelle hatte ihn aufgefordert, dort etwas auszustellen, und so zeigte er zwei seiner Werke: einen Kopf von Diego und eine postkubistische Figur namens „Torso“; nur war dieser Torso auf wenige kantige Blockformen reduziert - also selbst alsTorso kaum als Torso zu erkennen… Sein Lehrer war darüber auch nicht „amused“ und schimpfte: „So etwas macht man für sich zu Hause, aber man zeigt es nicht!“
Natürlich wurden die beiden Objekte auch nicht verkauft, jedenfalls nicht sofort. Aber -, und das war viel wichtiger: Diese Ausstellung brachte Giacometti in Kontakt mit der Pariser Avantgarde. Vor allem lernte er Masson und den Kreis der Surrealisten kennen, und ihren bevorzugten Händler, Pierre Loeb. Giacometti konnte einen Vertag mit ihm unterzeichnen, - und das bedeutete, endlich ein kleines Einkommen durch die eigene Kunst zu haben. Er erhielt Einladungen zu den Treffen und im Jahr 1932 endlich seine erste Einzelausstellung. Ihn faszinierten die primitiven Skulpturen anderer Völker, die man in Paris entdecken konnte, und er lernte wichtige Künstler und Schriftsteller kennen; Louis Aragon, Jean Cocteau, Max Ernst, Joan Miró und Jacques Prévert. In einer 1929 neu gegründeten surrealistischen Zeitschrift wurden Arbeiten von ihm erwähnt und gewürdigt. Zusammen mit Joan Miró , dem spanischen Maler, und Hans Arp ,dem deutschen Bildhauer, war Giacometti an einer Gruppenausstellung in Pierre Loebs Galerie vertreten. Und nicht nur das: der berühmte André Breton entdeckte dort Giacomettis Plastik Schwebende Kugel (Boule suspendue), und kaufte sie. Besser konnte es nicht laufen für den jungen Giacometti, sollte man meinen. Und bei einem Besuch in Giacomettis Atelier konnte André Breton den Künstler schließlich dazu bewegen, sich seiner Surrealistengruppe anzuschließen.
Wer und was sind Surrealisten? Erläuterung (sur=franz.=über, also surreal=das Überwirkliche)
Viele Künstler misstrauten - nicht zuletzt durch die schlimmen Erfahrungen des l. Weltkrieges - der Vernunft und Einsichtsfähigkeit der Menschen. Sie gingen davon aus, dass mit Vernunft beim Aufbau einer besseren Welt nicht zu rechnen sei. Hatte die angebliche Vernunft nicht gerade auf ganzer Linie versagt? Musste man nicht viel mehr die „Unvernunft" setzen? Oder anders gesagt: auf die besondere Macht des Irrationalen, des Unterbewussten ? Die Macht des Unterbewussten könnte - so hofften sie – endlich eine Art Gesundung der Gesellschaft herbeiführen, wenn man sie richtig anwendet. André Breton forderte in seinem Manifest ein „… Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder ethischen Überlegung.“ Und er spricht weiter von der Allmacht des Traumes, vom zweckfreien Spiel des Denkens- das jetzt notwendig sei...
Man diskutierte damals leidenschaftlich die neuen psychoanalytischen Erkenntnisse des Arztes Sigmund Freud, vor allem seine Aussagen über die Macht des Unbewussten, und man versuchte, die neuen Erkenntnisse auch auf die Kunst anzuwenden. Freud selbst hatte schließlich gesagt: »Kunst ist vielleicht die sichtbarste Wiederkehr des unterdrückten Bewusstseins« Die Surrealisten entwickelten deshalb Methoden, um den kontrollierenden Verstand auszuschalten und die Erlebnisfähigkeit zu erweitern. (Hinweis: Vielleicht wiederholt sich Geschichte nicht, aber mir fallen dabei immer die Ähnlichkeiten zur Hippiebewegung auf, dem Drogenkonsum, der psychadelische Musik wie In-A -Gada-Da -Vida usw.)
Jedenfalls: Vor diesem Hintergrund des damaligen Denkens und der Debatte entstand die Kunstrichtung des sogenannten Surrealismus.
Die Surrealisten zeigten die Hintergründigkeit der Welt, indem sie die traditionelle Formensprache bruchstückhaft oder verzerrt übernahmen und in einen ungewohnten Zusammenhang brachten. (z.B. zeigt Picasso verschiedene Perspektiven auf ein Gesicht in nur einem Bild, deshalb gibt es vielleicht 3 Augen). Andere Künstler bildeten Einzelheiten fotogetreu ab, teils formten sie diese seltsam um (denken wir an hängende Uhren bei Dalí) und fügten sie in einer überraschenden, der Wirklichkeit widersprechenden Weise zusammen...(z.T. Kubismus, Die Violine)
In der Welt der Surrealisten waren die Grenzen zwischen Mensch, Tier, Pflanze und leblosem Gegenstand oftmals aufgehoben. Es entstanden Traumbilder( z.B. Dalís Landschaften, die brennende Giraffe etc. Etliche Hitchcock-Filme haben traumhafte Elemente...)
Richtungsweisend wirkten die kurz vor und während des 1. Weltkriegs entstandenen „metaphysischen “ Bilder des Italieners de Chirico. Sie zeigten die Architektur von Straßen und Plätzen mit starken Schlagschatten und Gegenständen in unterschiedlicher Perspektive. Eine neue Zusammensetzung, die nicht real sein kann. Es gab rätselhafte Zusammenstellung von Gegenständen, die nicht zusammen passen oder puppenähnlich regungslose Figuren.
Diese Auffassung von Kunst führte auch zu einer Wertschätzung der sogenannten naiven Malerei, insbesondere der von HENRY ROUSSEAU (1844-1910).
(Zusatz-Frage: Ist der Surrealismus gescheitert? Warum gibt es noch heute surrealistische Werke)
Giacomettis Vater, der immer ein starker Bezugspunkt gewesen war, starb im Juni 1933. In diesem Jahr entstanden nur wenige Werke. Giacometti beteiligte sich zwar noch an Ausstellungen der Surrealisten, begann jedoch – nach langer Zeit wieder – nach der Natur zu modellieren, was Breton als Verrat an der Avantgarde ansah. André Breton warf Giacometti während eines Abendessens im Dezember 1934 vor, dass er für den Pariser Möbeldesigner Jean-Michel Frank „Brotarbeit“ verrichte und daher der surrealistischen Idee abtrünnig geworden sei. Wie viele Künstler der Avantgarde, befand sich Giacometti tatsächlich in einem Dilemma: Seine Kundschaft war wohlhabend und wollte dekorative Objekte, also modische Dinge, die er mit seinem Bruder auch lieferte. Von irgend etwas musste man schließlich leben… Andererseits sympathisierte er mit der Arbeiterbewegung und ihrem Klassenkampf; Louis Aragon z.B. war ein Freund, ein wichtiges Mitglied der surrealistischen Gruppe und Kommunist, und mit ihm verband Giacometti sehr viel. Es gab Streit, endlose Diskussionen. Wenige Monate später zog sich Giacometti selbst von der Gruppe zurück, bevor ein offizieller Ausschluss erfolgen konnte. Aber durch die Trennung verlor Giacometti viele Freunde, mit Ausnahme von René Crevel, der sich im Juni 1935, deprimiert und krank, das Leben nahm. Man sollte also nicht vergessen, mit welcher Heftigkeit und mit welchem Ergebnis ideologische Debatten oft geführt werden…
Giacometti gerät nach dem Bruch mit den Surrealisten in eine ernste Schaffenskrise. Er muss eine eigene Ausdrucksform finden. Dabei werden seine Skulpturen mit jedem Versuch immer kleiner, bis sie kaum noch die Größe von Stecknadeln besitzen. Büsten und Köpfe modelliert er in der Größe von Walnüssen. Es scheint, als verstecke er sich in seinen Werken, als werde auch er kleiner und gebrochener. Trotzdem folgt er hartnäckig diesem Weg, obwohl sich niemand für seine Miniaturen interessiert. Diese Durststrecke ist lang und sollte erst nach dem Krieg enden...
Er wandte sich allmählich anderen Künstlern zu, die sich der Wiedergabe nach der Natur in der Kunst verschrieben hatten. Pablo Picasso hatte er bereits im Surrealistenkreis getroffen, aber eine Freundschaft zwischen ihnen bahnte sich erst an, als dieser 1937 an seinem Monumentalgemälde Guernica arbeitete. Giacometti war übrigens neben Matisse der einzige Künstler, mit dem Picasso gern über Kunst sprach. Picasso sah Giacometti als ebenbürtig an und hörte auf seinen kollegialen Rat.
Ein schlimmes Ereignis gab es im Jahr 1938 für Giacometti:
Er war nachts in Paris unterwegs und gerade auf der Place des Pyramide. Plötzlich verlor eine betrunkene Autofahrerin die Kontrolle über ihr Fahrzeug und erfasste ihn auf dem Gehweg. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und behandelt; dabei stellte man fest, dass sein Mittelfuß an zwei Stellen gebrochen war. Man riet ihm, sich bis zur Heilung des Knochens zu schonen, nicht herumzulaufen usw. , aber Giacometti hielt sich nicht an die Anweisungen der Ärzte. Vielleicht ging ihm anderes im Kopf herum, vielleicht war er kein geduldiger Mensch,- jedenfalls kein vernünftiger -, wenn die Vernunft damals sowieso schon etwas Diskussionswürdiges war,- jedenfalls behielt er seitdem einen Gehfehler und war auf Krücken und Stock angewiesen. Bis 1946, acht Jahre lang. Er erzählte oft von diesem Unfall und bezeichnete ihn als einschneidendes Erlebnis. „Es war wie ein Stromstoß auf mein schöpferisches und persönliches Leben“ Einige Fachleute meinen bis heute, dass Giacometti aus Furcht vor einer Amputation traumatisiert gewesen sei und deshalb seine späteren Plastiken mit übergroßen Füßen oder Fußsockeln ausgestattet habe. Kann sein, muss aber nicht.
1939 lernte Giacometti im Café de Flore den französischen Philosophen Jean-Paul Sartre und dessen Lebensgefährtin Simone de Beauvoir kennen. Diese Bekanntschaft sollte Folgen haben – für Giacometti selbst und für sein Werk.
Nicht lange nach der ersten Begegnung verfasste der Philosoph sein Hauptwerk ( Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie), das 1943 erstmals veröffentlicht wurde und in das einige Gedanken Giacomettis einflossen. Die Phänomenologie beschäftigte Giacometti zeitlebens. Erläuterung: Phänomenologie bedeutet Erscheinungslehre. Im Besonderen handelt es sich um eine von dem Philosophen Edmund Husserl begründete Grundlagendisziplin der Philosophie. Diese versucht darzustellen, dass alles, worauf sich das menschliche Bewusstsein richten kann, von diesem Bewusstsein mitbestimmt ist.
Bei Kriegsausbruch im September 1939 hielten sich Giacometti und sein Bruder Diego in der Schweiz auf und kehrten erst Ende des Jahres nach Paris zurück. Giacometti vergrub seine Miniaturskulpturen in seinem Atelier – kurz vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht. Die beiden Brüder flüchteten im Juni mit dem Fahrrad aus Paris, mussten aber wieder umkehren. Alberto, der wegen seiner Behinderung vom Wehrdienst befreit war und ein Visum für die Schweiz erhalten hatte, reiste allein nach Genf, während Diego in Paris zurückblieb.
Erst im September 1945 kehrte Alberto nach Paris zurück. Dort zog er mit einer langjährigen Freundin zusammen in eine kleine Mietwohnung, die in der Nähe des Ateliers lag. Isabel, seine Freundin, hatte sich von ihrem Mann getrennt und war deshalb aus London nach Paris gekommen. In London kannte sie Hinz und Kunz, u.a. auch den englischen Maler Francis Bacon. Bacon hatte sie einmal porträtiert, aber ich glaube kaum, - wenn man die Werke von Francis Bacon kennt – das irgendwer sie hätte erkennen können. Vermutlich auch Giacometti nicht. Anlässlich einer geplanten Ausstellung in der Tate Gallery in London trafen sich dann Francis Bacon und Giacometti. Nicht wichtig, aber kann ja mal erwähnt werden…
Die Liaison mit Isabel war nach einem Jahr vorbei, und Giacometti zog 1946 mit Annette Arm (1923–1993) zusammen, die er während der Kriegszeit in Genf kennengelernt hatte und 1949 heiratete. Mit ihr als Modell entstand eine umfangreiche Zahl von Zeichnungen, Radierungen, Gemälden und Skulpturen. In den Skulpturen fand Giacometti jetzt seine eigene Ausdruckssprache. Seine menschlichen Figuren wurden zunehmend länger und dünner und zeigten den Stilwandel, der ihn in den folgenden Jahrzehnten international bekannt machte: Die kleinen „Stecknadel“-Figuren auf hohen Sockeln wichen zunehmend überschlanken Figuren in Meterhöhe; stabdünne Menschen mit undeutlicher Anatomie, jedoch mit genauen Proportionen und nur angedeuteten Köpfen und Gesichtern. Sie waren nackt, und die Oberfläche war rissig, verbeult und dunkel, fast verwest wie die lederne Haut einer Mumie. (2tes wichtiges Merkmal, wenn man die polierten glatten Oberflächen anderer Skulpturen sieht) Die Beine, Arme und Köpfe wurden überlang, der Körper an sich dünn - fast wie ein Strich. Er schuf Männer, die ohne Kniebeuge schreiten, reglos dastehende Frauen, die Arme an den Körper gepresst. Die Figuren wirken mit Absicht sehr zerbrechlich – denn Menschen sind zerbrechliche Wesen. Mit seinen Plastiken offenbart der Künstler das Verlorensein des Menschen und seiner Einsamkeit.
Sehr erfolgreich verlief Giacomettis erste Einzelausstellung 1948 in der Galerie von Pierre Matisse in New York.
Pierre Matisse war ein Mitstudent aus den frühen Pariser Studienzeiten und der jüngere Sohn des Malers Henri Matisse. (Hinweis: der wollte zuerst seinem berühmten Vater nacheifern und Maler werden; er hatte auch bereits eine Ausstellung im Salon des Independants. 1923 traf er jedoch die Entscheidung, Kunsthändler zu werden, und nahm eine Stellung bei der bekannten Galerie Barbazanges-Hodebert in Paris an. Ein Jahr später verließ er Paris und zog nach New York, wo er in Manhattan 1931 eine Galerie für vorwiegend europäische moderne Kunst gründete, die er bis zu seinem Tod führte).
Sammler und einflussreiche Kunstkritiker wie David Sylvester, den Giacometti in der Ausstellung 1948 traf, wurden auf ihn aufmerksam. Diese Ausstellung, bei der erstmals die schlanken Figuren präsentiert wurden, begründete Giacomettis Ruhm im angelsächsischen Raum. Vor allem- und hier schließt sich wieder ein Kreis: Jean-Paul Sartre hatte extra für den Ausstellungskatalog einen fast zehnseitigen Essay verfasst! Die Suche nach dem Absoluten (La Recherche de l’absolu)
Daraufhin galt Giacometti dem amerikanischen Publikum als Bildhauer des französischen Existentialismus. (Erläuterung Existenzialismus: - philosophische Strömung, die sich auf existentielle Erfahrungen im menschlichen Leben bezieht (Tod, Angst, Freiheit, Leiden) - elementare Gefühle wie Angst, Hoffnung, Verzweiflung werden zum Zentrum aller Erfahrungen erklärt. ( Camus: Die Pest/ Sisyphos)
Ich kann die Einordnung von Giacometti als Künstler des Existenzialismus sehr gut nachvollziehen. Nehmen wir als Beispiel die Figur „Der Schreitende“, die es in mehreren Ausführungen gibt: Eine Figur, dürr, lang und dünn wie die meisten der Giacometti-Figuren. Erkennbar ist eine Person, aber reduziert auf das absolut Wesentliche. Eine einsame, verlorene, zerbrechliche Gestalt, auf sich allein gestellt, ohne Umgebung. Dieser Mann geht, d.h. er bewegt sich, wie es jede Kreatur tut. Aber sein Gang ist unnatürlich: Er „ schreitet“, er „marschiert“; man sieht: die Knie beugen sich nicht. Schreiten oder Marschieren kann kein Tier, nur der Mensch. Diese Art sich zu bewegen, ist zivilisatorisch begründet, also etwas Unnatürliches. Etwas, das Bewusstheit erfordert. - Man kann gehen. Man kann aber auch schreiten, z.B. um einer Regenpfütze auszuweichen. Man kann im Stechschritt marschieren wie die Soldaten bei der Parade auf dem Roten Platz. Doch passt zu solcher Markigkeit kaum die Zerbrechlichkeit dieser Figur mit ihren herabhängenden Armen. Diese Ambivalenz in der Darstellung zwischen dem einsamen Wesen des Menschen an sich und einer Körperhaltung, die zwanghaft ist, deutet das Drama, in dem sich der zivilisierte Mensch befindet. ( weitere Infos siehe Ende des Textes)
Drei Jahre später, erst 1951, wurden die schlanken Figuren erstmals in Paris gezeigt. Dann ging es schnell und zahlreiche Ausstellungen in ganz Europa folgten. Mit seinen langgezogenen Figuren gelang Giacometti der internationale Durchbruch. Die Preise für seine Werke vervielfachten sich. Trotzdem blieb Giacometti seinem kargen Lebensstil treu. Giacometti erhielt Aufträge, er besuchte alte Freunde, unter ihnen auch Henri Matisse und Pablo Picasso, mit dem er sich aber -wer weiß worüber- zerstritt. Eine langjährige Freundschaft endete, ohne dass wir den Grund kennen. Bei gelegentlichen Treffen verhielt sich Giacometti zwar höflich, aber ausgesprochen distanziert.
1957 begegnete der Künstler dem Komponisten Igor Strawinsky. Sie wissen, liebe Hörer, das ist der Komponist der schrägen 12-Ton-Musik. Giacometti zeichnete ihn mehrfach. ( Dazu, liebe Hörer, muss ich sagen, dass mich die Zeichnungen in Malaga nicht überzeugt haben. Giacometti ist ein toller Bildhauer, aber als Maler in meinen Augen manchmal grausig.) In dieser Zeit traf er ebenfalls den bekannten französischen Autor Jean Genet und schuf drei Ölporträts und mehrere Zeichnungen von ihm. Genet wiederum schrieb 1957 ein Buch über den Künstler (Titel: L’Atelier d’Alberto Giacometti.) Dieser Text soll Giacometti viel bedeutet haben, da er sich darin verstanden sah, und Picasso beschrieb das Buch als das beste, das er je über einen Künstler gelesen habe.
Eine 21-jährige Prostituierte namens Caroline, die Giacometti im Oktober 59 in der Bar „Chez Adrien“ kennenlernte, führte zu einer Affäre, die bis zu seinem Tod andauerte. Die Verbindung mit der jungen Frau aus dem Rotlichtmilieu erwies sich – wen wundert´s - als große Belastung für Giacomettis Frau Annette, aber auch für seinen Bruder Diego, der so oft Modell gewesen war. Caroline wurde in dieser Zeit das wichtigste Modell, und Giacometti schuf viele Porträts von ihr. Der Künstler war inzwischen weltberühmt und erhielt große Summen für seine Werke. Giacometti aber änderte seine Lebensgewohnheiten nicht, er lebte weiterhin bescheiden, aber sehr ungesund – er aß wenig, trank viel Kaffee und rauchte viele Zigaretten. Das erworbene Vermögen verteilte er an seinen Bruder Diego, an seine Mutter und an seine nächtlichen Bekanntschaften. 1960 kaufte er für Diego immerhin ein Haus und für Annette und Caroline schöne Wohnungen - wobei die Wohnung für sein Modell die luxuriösere war. Ich kann vermuten, dass es darüber sicherlich familiären Streit gab und genügend Stoff für eine daily soap…
Der Dramatiker Samuel Beckett, den Giacometti seit 1937 kannte und mit dem er oft in Pariser Bars debattierte, bat ihn eines Tages, doch bei einer neuen Inszenierung seines Theaterstückes Warten auf Godot, mitzuwirken. Dieses Stück von Weltrang war 1953 uraufgeführt worden. Giacometti war einverstanden und schuf ein neues Bühnenbild, einen kargen Baum aus Gips. Kann man das Drama menschlicher Einsamkeit besser verdeutlichen? Im folgenden Jahr erhielt Giacometti den Großen Preis für Bildhauerei bei der Biennale in Venedig, der ihn endgültig weltweit berühmt machte. Schon sein Vater hatte dort ausgestellt, und ich glaube, er hat mit Rührung daran gedacht, als man ihm den Preis überreichte….
Auf diesem Höhepunkt des Lebens aber war Giacometti krank. Sein ungesundes Leben forderte ihren Tribut. Man hatte einen Magenkrebs diagnostiziert, und er musste sich im Februar 1963 einer Operation unterziehen.
Nur ein Jahr danach zerbrach außerdem die Freundschaft mit Sartre. Erst Piccasso, jetzt Sartre.
Als dessen autobiografisches Buch Les mots veröffentlicht wurde, sah Giacometti darin seinen Unfall und dessen Folgen falsch dargestellt. Sartre hatte als Unfallort irrtümlich die Place d’Italie genannt und Giacometti mit den Worten zitiert: „Endlich einmal erlebe ich etwas! […] Also war ich nicht dazu bestimmt, Bildhauer zu werden, …“ Ich glaube, Sartre hat mit diesem Zitat nur Giacomettis damalige Depression nach dem Unfall beschreiben wollen. Aber Giacometti blieb verbittert. Vielleicht war diese Verbitterung auch eine Folge der Krebserkrankung? Eine Versöhnung mit seinem Freund Sartre lehnte Giacometti jedenfalls ab. Im darauf folgenden Jahr reiste er trotz angegriffener Gesundheit in die Vereinigten Staaten zu einer Retrospektive seiner Werke im Museum of Modern Art in New York.
Giacometti starb 1966 im Kantonsspital Graubünden in Chur, in der Schweiz. Nicht an Magenkrebs, sondern an den Folgen einer chronischen Bronchitis. Er wurde in Borgonovo beerdigt. Sein Bruder Diego stellte den Bronzeabguss des letzten Werks seines Bruders auf das Grab, die in feuchte Lappen gewickelte Tonfigur hatte er im Atelier vorgefunden. Einen eigenen kleinen Bronzevogel stellte er daneben. An der Beerdigung nahmen außer den Angehörigen und vielen Freunden und Kollegen aus der Schweiz und Paris auch Museumsdirektoren und Kunsthändler aus der ganzen Welt teil, ebenso die Vertreter der französischen und schweizerischen Regierung.
Christian Klemm, der Konservator der Alberto-Giacometti-Stiftung, meint: "Giacometti hat ein neues Menschenbild geschaffen. Seine Idee war, den Menschen in seiner augenblicklichen Präsenz zu erfassen, so wie er uns auf der Straße begegnet…" Insbesondere junge Leute seien von Giacometti fasziniert, weiß Klemm. "Seine Suche nach dem Wesen des Daseins, nach der nackten Existenz beschäftigt jede Generation wieder von neuem."
Liebe Kunstfreunde,
Sie werden sich eine Skulptur von Giacometti nicht leisten können. Oder haben Sie 74 Millionen Euro in der Portokasse? Für diese Summe wurde 2010 die 183cm große Figur „Schreitender Mann, Nr. 1“ aus der Sammlung der Commerzbank bei Sotheby's in London versteigert. Die Commerzbank kam durch den Kauf der Dresdner Bank auch in den Besitz ihrer Kunstsammlung. Und in Zeiten von Finanzkrise und Geldnot griff man zum besten und teuersten Stück der Sammlung und ließ es versteigern. Kein Schnäppchen für den Käufer, aber eine kleine Hilfe für eine notleidende Bank…
Ansonsten empfehle ich Ihnen:
- kaufen Sie eine preiswerte Fälschung - kein Bildhauer wird so oft kopiert und gefälscht wie Giacometti
- Noch besser ist :
Besuchen sie die Ausstellung im Picasso-Museeum in Málaga, noch vor dem 5. Febr., geöffnet Di – Do 10-20 Uhr., Fr + Sa 10 – 21 Uhr, So 10-20 Uhr, Entritt 4,50 € für die Ausstellung
- Geben Sie auf YouTube den Namen „Alberto Giacometti“ in das Suchfeld ein uns sehen Sie sich die sehr schönen Videos mit den Titeln Ein Portrait 1/6 und 4/6 an
- Als Lesetipp zu Vertiefung empfehle ich ein großzügig bebildertes Buch der Fondation Beyeler (Hrsg.)
Titel: Giacometti Verlag: Hatje Cantz Verlag; 221 S. m, 166 Farb- u. 32 SW-Abb. in deutscher Sprache, erschienen 2007; ISBN 978 377 572 3480
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